Die konservative und liberale Parteien-Konkurrenz der Grünen hat - im Verbund mit der Springerpresse - nachdrücklich gezeigt: „Bei Bedarf“ können sie die grüne Partei jederzeit zum Schreckgespenst für eine angeblich überzogene Klimapolitik aufplustern. Der reale Schrecken der Klimakrise wird in ein grünes Gespenst transferiert und kann so scheinbar mitsamt der lästigen grünen Partei leichterhand erledigt werden. Die Verdrängungsgesellschaft fällt erfreut ins Grünen-Bashing ein. Endlich aktives Handeln, um die eigenen Sorgen zu bekämpfen. Doch die Polykrisen verschwinden dadurch nicht, ganz im Gegenteil. Daher brauchen wir etwas gänzlich Neues: Eine Vision, in der 14,9 % Wähler:innen-Stimmen für 100% Effekt genügen können.
Spätestens seit der vergeigten Europawahl 2024 diskutiert die grüne Partei über ihre Strategie - das Debakel um das „Heizungsgesetz“ bildet den mächtigen Background.
Das Soziale besser mitdenken, die Mittelschicht fokussieren, die Migration anders verhandeln - das sind einige der Ideen. Solche Vorschläge würden vielleicht den Grünen helfen. Doch mitten in der Polykrise hat sich der Einsatz dramatisch erhöht. Erweitern wir daher die Perspektive von den „Grünen in Not“. Schauen wir auf die „Menschheit in Not“ – dem eigentlichen Problem. Welche besondere Rolle könnte den Grünen dann zukommen?
Um noch einmal einen Schritt zurück zu gehen und es klar zu sagen: Wir begraben hiermit zwei Szenarien. Erstens die Hoffnung, dass ökologisch-dominierte Wahlentscheidungen erheblich zunehmen. Zweitens die Idee, dass alle Parteien eine starke Klimapolitik, jeweils in ihrer bevorzugten Version, vorlegen – liberal, konservativ, sozialdemokratisch. Dies scheint - bis auf weiteres - ein Wunschdenken zu sein. Zu groß ist für die Parteien offenbar die Versuchung, die Probleme liegen zu lassen und mit Grünen-Bashing parteipolitische Punktsiege zu erzielen.
Anders gesagt ist der Stand: Die übrigen Parteien delegieren die Klimapolitik im Wesentlichen an die Grünen – und bekämpfen sie anschließend politisch. Im Ergebnis kann die grüne Partei in ihrer etablierten Form und Wirkweise kein wirklicher Fortschrittsfaktor sein. Um den menschlichen Epochenwechsel zu meistern, kommt ihr eine ausgezeichnete gänzlich neue Rolle zu.
Die klassische Parteiarbeit der Grünen, der einzigen größeren Partei mit dem Schwerpunkt Klimaschutz, bleibt selbstverständlich sinnvoll und notwendig. Themen müssen gesetzt, konkrete Gesetzesvorhaben entwickelt, dem fossilen Backlash eine Alternative entgegengehalten werden.
Aber um die nötigen Umstellungen in Schwung zu bringen, braucht es eine neue, zusätzliche Rolle: Die Moderation des Wandels. Eigentlich sollte diese Aufgabe nicht von politischen Parteien übernommen werden. Doch es hilft nichts: Das Wirken einer Partei als Moderator des Wandels trägt entscheidend dazu dabei, die Selbstblockade des parteipolitischen Systems aufzulösen. Und dies ist bitter nötig.
Für die grüne Partei bedeutet diese Rolle – vor allem, wenn man auf die nächsten Jahrzehnte und nicht nur bis zur nächsten Wahl blickt - ein enormes Privileg. Ein Privileg, das sich nicht in Prozenten und Wahlerfolgen bemisst und sie gar nicht unbedingt braucht. Ein Privileg, das selbstverständlich weit über jeglichen gewohnten Rahmen hinausgreift - der aber bisher schlicht nicht für die Bewältigung der Polykrise taugt.
Selbstverständlich übernimmt jede grüne Politikerin und jeder grüne Politiker schon heute eine gewisse Moderationsfunktion. Dennoch ist es ein grundsätzlicher Unterschied in der Denke, ob man sagt, „Liebe Klimabewegung und Zivilgesellschaft: Ihr habt uns mit 14,9% gewählt, also bekommt ihr (leider nur) 14,9% Klimapolitik. Wählt uns mehr, dann bekommt ihr mehr“. Oder ob man eine andere Überlegung favorisiert:
"Angesichts der Tatsache, dass wir letztlich 100% Klimaschutz und Erhalt unserer Lebenswelt benötigen, braucht es eine Partei, die zusätzlich zur etablierten Parteipolitik kraftvoll versucht, die allgemeinen parteipolitischen Machtströme und -prozesse möglichst geschickt so zu lenken, dass eine maximale Klimapolitik resultiert.“
Das würde ein grundsätzliches Neudenken der eigenen Rolle bedeuten. Dabei hört sich „Moderation“ zwar zahm und passiv an. Aber das täuscht: Es kann sehr machtvoll sein, die großen Kräfte mit minimalem Aufwand umzusteuern.
Diese Rolle wäre singulär, sie wäre Privileg und Pflicht in einem. Und sie wäre in höchstem Maße nützlich für die Menschheit. So könnte die Selbstblockade des politischen Parteiensystems am Anfang dieses Epochenwechsels der Menschheitsgeschichte endlich aufgelöst werden. Ein konkreter Beginn können die hier beschriebenen Zukunftscontainer sein.