Viele engagierte Menschen arbeiten tagtäglich daran, eine möglichst große Anzahl von Mitstreiterinnen und Mitstreiter für ihre Anliegen zu mobilisieren. Dafür gibt es sicherlich viele taugliche Rezepte. Das 1x1 des Campaignings zum Beispiel.
Aber genügt das? Dafür sind schon zu viele Bewegungen versandet oder haben gar nicht erst gezündet. Am Ende bleibt immer die Frage: Wie gelingt es? Wieso glückte der Klimabewegung 2019 ein immer weiter ansteigender Pegel des Protests - nur um ab Herbst 2019 wieder abzufallen? Warum explodierte der Protest gegen rechts im Januar 2024 geradezu?
Bevor wir dies beantworten können, müssen wir diese Fragen genauer ansehen. Denn sie können auf zweierlei Art gestellt worden sein. Die erste Version ist eine, von der Aktivistinnen und Aktivisten hoffen, dass sie zutrifft. Hier ist Protest organisierbar und ein Stück weit vorhersagbar. In der zweiten Version schauen wir begeistert (oder erschreckt, je nachdem), auf ein Phänomen, das weitgehend unvorhersehbar und unsteuerbar auftritt.
Ich glaube, beide Sichtweisen treffen zu. Ein Teil ist vorhersagbar - ein anderer nicht. Das entscheidende Moment bleibt unbeherrschbar. Zumindest so lange, wie man dem Glauben anhängt, es beherrschen zu können. Denn das heißt, gänzlich auf die Werkzeuge des Campaignings zu vertrauen.
Eine gesellschaftliche Dynamik können sie aber nicht sicher hervorlocken. In welchem Lehrbuch stand, dass ein 15-jähriges Mädchen mit einem Holzschild hervorragend geeignet wäre, eine weltweite Bewegung auszulösen? Obwohl sich an dieser Aufgabe zuvor schon tausende Menschen, darunter Akteure wie Greenpeace mit ihren fulminanten Aktionen und jahrelanger Aktivist:innenerfahrung, die Zähne ausgebissen hatten? Dennoch gibt es hier mehr zu entdecken. Lernen wir von Bob.
Bei Wirbelstürmen ist die Sache so. Es gibt bestimmte Ausgangsbedingungen. Dazu zählen Luftdruck, Temperatur, Feuchte und andere Parameter. Die Wissenschaft kennt diese Parameter. Nur: Ob, wo und wann dann letztlich ein Wirbelsturm entsteht, ist wissenschaftlich nicht vorhersagbar.
Das heißt: Wenn die Ausgangsbedingungen erfüllt sind, kann es sein, dass ein paar Teilchen beginnen, sich sehr schnell im Kreis zu drehen. Und es kann sein, dass sie andere mitreißen. Und dass sich immer mehr anschließen. Dann entsteht ein Wirbelsturm - mit all seinen expressiven Folgen. Oder aber: Das passiert nicht.
Genau so stellt sich das auch bei gesellschaftlichen Bewegungen dar. Luftdruck, Feuchte, Temperaturunterschiede: Das war 1989 die marode DDR-Wirtschaft. 2019 waren es die wissenschaftlich erforschte und vielfach dargestellte Klimakrise, eine weitgehend untätige Politik sowie der von Greta Thunberg entfachte Glaube, "wenn wir nur mehr werden, ändert sich die Politik". 2024 sehen eine AfD, die sich seit Jahren immer breiter machte und der die etablierten, sich ständig streitenden Parteien vielfach nach dem Mund reden. Ohne diese Ausgangsbedingungen gäbe es keine Dynamik. Warum auch? Doch wo und wann genau der Sturm der Entrüstung losbricht, lässt sich nicht vorhersagen.
Das wird viele schmerzen. Denn es bedeutet: Die Dynamik ist nicht herstellbar. Die Dynamik erklärt sich letztlich aus sich selbst heraus. Psychologisch gesagt: Ist-Normen schlagen Soll-Normen. Wir gehen nicht auf die Straße, weil wir wissen, dass wir das tun sollten. Sondern weil andere es tun.
Man kann versuchen, die Dynamik zu zünden - aber ohne Gewähr auf Erfolg. Analytischer greifbar ist immerhin der Fall, dass bestimmte Ausgangsbedingungen fehlen. Unterliegt die fehlende Bedingung unserem Einfluss, können wir sie herstellen. In diesem Sinne sollte die Klimabewegung dringend aus dem Erfolg - wie auch dem Misserfolg - des Jahres 2019 lernen.
Dafür schlage ich ein kleines Gedankenexperiment vor: Was würde 2024 ausgelöst, wenn die Klimabewegung wieder sehr mächtig und sehr laut würde? Ich behaupte: Es würde ähnlich laufen wie 2019. Die Bundesregierung würde ein klein wenig nachgeben. Substanzielle Veränderungen in Punkto Tempo und Entschlossenheit gäbe es nicht. Doch es würde gar nicht soweit kommen. Denn derzeit fehlt es an einer wesentlichen Ausgangsbedingung. Jene von 2019 wurde im Herbst 2019 verbraucht: Der Glaube, dass Mehrwerden funktioniert.
Durch 2019 haben wir gelernt: Wir scheitern am politischen System. Genauer gesagt: Am parteipolitischen System. Als wir im September 2019 mit 1,4 Millionen Menschen auf den deutschen Straßen standen als Teil einer weltweiten, mächtigen For-Future-Bewegung verkündigte Angela Merkel das "Klimapäckchen". Mit lächerlichen 10 Euro CO2-Preis pro Tonne. Als wollte sie die Bewegung verspotten. Dabei gehorchte ihr Klimakabinett nur den - von uns unangetasteten - Regeln der Politik.
Das parteipolitische System ist "die Nuss die geknackt werden muss" sagt der Protestforscher Simon Teune. Parteien zerstreiten sich fortwährend über Fragen, die sie einen müssten, während die Klimakrise vor aller Augen eskaliert. Ein völlig absurdes Schauspiel - in dem wir leider mitten drinn stecken. Doch die Parteien werden ständig gepusht von der nächsten Umfrage und der nächsten Wahl. Solange das so ist, bleibt alles so, wie es ist.
Die Lösung kann nur überparteilich sein. Doch vorsicht: Damit haben wir die Gleichung noch nicht gelöst! Die Unbekannte, das gesuchte x, ist (noch) nicht die pure Einsicht in die notwendige Überparteilichkeit. Wir müssen außerdem genauer wissen, wie konkret wir sie ins politische System hineinbekommen!
Mit einem Bürger:innen-Rat geht das zum Beispiel nicht. Denn dessen Ergebnisse müssen auch wieder ins politische System gebracht werden. Und genau das ist die Frage: Wie bekommen wir Überparteilichkeit ins parteipolitische System?
Ein Insider berichtete mir vor Kurzem aus seinem letzten Gespräch mit einem MdB. Überparteilichkeit finde derzeit auf dem Flur statt, sagte dieser.
Nichts gegen den Flurfunk und gegen Gespräche in der Kaffee-Küche. Aber geht es nicht auch etwas systematischer? Sollten wir nicht ein taugliches Format für die Überparteilichkeit finden, wenn es um die Sicherung unserer Lebensgrundlagen, um Hamburg, Venedig und New York, um Millionen Hitzetote und Milliarden-Schäden geht?
Wir brauchen ein politisches Format, einen Zukunftscontainer - zum Beispiel ein Klimakabinett?! - eine Ministerpräsident:innenkonferenz - oder ?? Und wir brauchen erste Inhalte für diesen zunächst leeren Container. Inhalte, die konkret sind und die überparteilich funktionieren könnten.
Was wir gewinnen könnten, wäre von schier unendlichem Wert. Wir hätten einen Mechanismus für die Zukunft generiert, mit der wir die Klimakrise und andere Überlebensfragen der Menschheit zumindest für die nächsten Jahrzehnte wuppen könnten. Denn in diesen Zukunftscontainer könnten wir nach und nach - d.h. immer wenn die Ausgangsbedingungen dafür taugen - weitere Inhalte einfüllen. Bis wir am Ende alle Überlebensfragen der Gesellschaft (Klimakrise, Biodiversitätskrise, weitere planetare Grenzen) genauso einig behandeln und schützen, wie heute schon die Demokratie. Eine gute Voraussetzung für den anstehenden Epochenwechsel.
Damit schaffen wir eine derzeit noch fehlende Ausgangsbedingung. Wir klären, wie das parteipolitische System geknackt werden kann. Vielleicht fehlt noch eine Zutat. Und das Momentum. Aber eines ist sicher: Ohne das parteipolitische Spiel zu verändern, kommen wir nie zum Ziel. Egal wie mächtig wir (wieder) werden. Egal, wie günstig die Winde stehen.
Daran arbeiten wir konkret. Wer mitmachen möchte, melde sich. Schnell. Denn die Zeit drängt. Die Klimakrise eskaliert. Der politische Backlash gegen zarte Pflänzchen der Klimapolitik läuft. Und die Initiative wird in Kürze konkret.