Der Protestforscher Simon Teune nahm dazu kürzlich in einem überaus lesenswerten Interview Stellung. Er bezweifelte darin, dass im Falle der Klimakrise funktioniert, was sonst das Erfolgsrezept jeder sozialen Bewegung ist: Wachstum. Er meint, dass die Nuss, die geknackt werden muss, das politische System ist.
Werfen wir einen Blick darauf.
Fangen wir mit den Grünen an, auf die viele ihre Hoffnung setzen. Wie sieht ihre Position im Rahmen des Parteien-Systems aus? Die Grünen stehen für einen Klimaschutz, der für die meisten wählbar ist. Der Maßstab müsste eigentlich die klimaphysikalische Realität sein. Es sind aber die Wähler:innen.
Für alle anderen (größeren) Parteien gilt der Satz: „Nur nicht grüner als die Grünen!“. Somit sind selbst grüne Wahlerfolge immer nur Schrittchen, kein Schritt.
Augenfälliger sind natürlich die wirklichen Bremser! Die FDP kapriziert sich mitten in der Klimakrise auf den Kampf für Autobahn-Projekte und Verbrenner-PKW. Auch dies ist – fast zwangsläufiges – Ergebnis des parteipolitischen Systems. Klima machen ja die Grünen schon. Soziales die SPD. Also kämpft die FDP für Autobahnen und Verbrenner – eine Positionierung, die sich fast aufdrängt. Hier locken Wähler:innen-Stimmen.
Insgesamt ergibt dies folgenden Befund: Das Parteipolitik-System hat sich im Hinblick auf die Klimakrise komplett verhakt. Das ist, wie Simon Teune sagt, „die Nuss“, die es zu knacken gilt.
Die Klimabewegung ist zwar keine Partei – aber im politischen Spektrum meist klar positioniert. Sie wird als etwas Links-grünes verstanden – und aktualisiert dies ständig mit entsprechenden Codes. Damit wirkt sie oft selbst wie ein Player im Parteiensystem. Linker und grüner als die Grünen zwar – aber das ändert zu wenig am Gesamtsystem und kann wohl kaum zum Epochenwechsel führen.
Bei ungebremstem Wachstum der Klimabewegung - wie vom Beginn von Fridays For Future bis zum Herbst 2019 - entsteht dennoch eine Dynamik, die die gesamte Gesellschaft und das Partei-Politik-System durchrüttelt. Doch seit dem Herbst 2019 schrumpft dieser Teil der Bewegung. Fridays For Future arbeiten mehr im Hintergrund - was zwar wirksam ist. Aber die gesamtgesellschaftliche Dynamik fehlt.
Viele sehnen sich nach erneutem Wachstum der Klimabewegung. Aber vielleicht braucht es etwas anderes. Versuchen wir eine Antwort aus Sicht des notwendigen Ergebnisses, des Epochenwechsels. Welche Kraft könnte die Gesellschaft als Ganzes bewegen?
Die Gesellschaft ist ein Riese im Vergleich zur Klimabewegung. Die Klimabewegten waren auch 2019 „nur“ die Feder, die den Riesen kitzelte. Die Kraft steckte schon immer im Riesen selbst. Das mag für alle ernüchternd klingen, die sich eine gigantische Klimabewegung ausmalen. Doch es ist zugleich tröstlich und macht es einfacher. Uff, wir selbst brauchen keine Riesenkräfte entwickeln. Es genügt, die Reaktionen des Riesen zu provozieren und einzukalkulieren. Das allerdings bleibt die Aufgabe.
Warum sind wir überhaupt so verirrt, dass wir wider besseren Wissens unsere eigene Lebensgrundlage zerstören? Die Antwort ist schlicht: Unsere Gesellschaft WILL verdrängen.
Die Hintergründe sind komplexer – denn das wollen wir selbstverständlich keineswegs offiziell. „Verdrängen“ ist hier nicht psychoanalytisch gemeint, sondern funktioniert so: Interessierte Kreise (Fossilindustrie etc.) verwandeln geschickt Fakten, Wissenschaft und Klimabewegung in Rollen und Requisiten. Diese schieben sie auf die Bühne (Springer-Presse, Talk-Shows etc.). Daran sollen wir uns abarbeiten – und das machen wir doch gern. Wir wollen lieber diskutieren, wovon Luisa Neubauer lebt, als uns die kommende Katastrophe reinzuziehen. Wir wollen uns lieber über die „Doppelmoral“ zweier Aktivist:innen echauffieren, die nach Bali fliegen, als die eigenen Urlaubsflüge zu streichen. So tauschen wir die enorme Bedrohung und Unsicherheit der Klimakrise gegen ein sicheres Terrain, bei dem wir stark aussehen können.
So läuft das seit Jahrzehnten. Was aber würde passieren, wenn die Gesellschaft etwas nicht zur Rolle und zum Requisit machen kann? Dann wird das Verdrängen schwierig!
Wir müssten also als kitzlige Feder wirken, ohne in eine Rolle oder ein Requisit verwandelt werden zu können. Reine Worte, reine Botschaften. Bloße Spiegel für die Verdrängungsgesellschaft.
Dazu gleich mehr. Sehen wir uns zunächst an, wie schon einmal eine Dynamik geherrscht hat, die die ganze Gesellschaft erfasste.
Vom ersten global strike bis zum Herbst 2019 trieb die klimabewegte Gesellschaft die Regierung regelrecht vor sich her. Damals gab es eine gesellschaftliche Dynamik, die alleine in Deutschland mehrere Millionen Menschen in Bewegung gebracht hat. 1,4 Millionen sogar an einem Tag gemeinsam auf die Straße. Wo eine solche Dynamik herrscht, reagiert die Politik und die Menschen schließen sich an.
Wir wissen inzwischen, dank der Letzten Generation, dass eine derartige Dynamik sogar dann ausgelöst werden kann, wenn körperliche Verletzungen, finanzieller Ruin und Gefängnis drohen.
Wenn die Menschen denken, „wenn ich jetzt xy mache, verändert sich etwas, das kann ich tun“, machen sie mit. So etwas brauchen wir. Nur eben eher nicht als Klimabewegung, sondern als Gesellschaft. Nicht: einige Klimaaktivist:innen müssen sich aufreiben. Sondern: Millionen Menschen müssen einige kleine Schritte gehen. Die Gesellschaft muss aus eigener Kraft handeln. Wir können nur richtig kitzeln.
Eine große und starke Klimabewegung hilft also – aber immer nur ein Stück weit. Hier sind schon viele aktiv.
Die eklatante Lücke klafft im Gesellschaftsdesign. Oder, präziser gesagt: Wir brauchen das Design des Übergangs für den anstehenden Epochenwechsel. Wie und wo können wir die Gesellschaft als Ganzes wirksam kitzeln? Wie die dort vorhandenen Energien und Kräfte ausnutzen, modifizieren, lenken?
Zunächst müssen wir jene Nuss zu knacken, die es laut Simon Teune zu knacken gilt. Die Antwort auf das sich verhakende Parteiensystem ist „Überparteilichkeit“. Und zwar nicht im Sinne einer punktuellen Zusammenarbeit zwischen den Parteien, die es schon immer gibt.
Sondern: Das Überlebensthema Klimakrise muss aus dem parteipolitischen Streit herausgehalten werden. Wissenschaftler:innen sollten einen praxistauglichen Vorschlag machen, was als Basis dafür dienen kann. Danach braucht es gesellschaftlichen Druck , sodass die Parteien sich darauf einlassen. Fertig, Nuss geknackt.
Zugegeben: Das ist trotzdem ein weiter Weg. Aber wenn es der Richtige ist, müssen wir alle Anstrengungen darauf richten. Egoismen und „wir wollen unsere Organisation groß machen“ müssen dagegen zurückstehen.
Der Protestforscher Simon Teune sagt außerdem, viele gesellschaftliche Akteure müssen ihre Verantwortung wahrnehmen und sich bewegen. Richtig: So rührt sich der gesellschaftliche Riese und kommt in Schwung! Allerdings passiert auch dies nicht von alleine. Gesellschaftsdesigner:innen müssen dafür sorgen.
#UnsereGenerationUnserJob braucht Überparteilichkeit und kitzelige Federn im Rahmen eines Übergangs-Designs. Eine gezielte Ansprache einzelner Gruppen, gesellschaftsweit, mit Projekten, die zusammenwirken. Dies wird Millionen erfassen - von links über grün bis zu konservativ. Interessiert? Bitte melden! Wir entwickeln den Plan dafür.