Kundige aus der Politikwissenschaft argumentieren meist so, als gäbe es nur Parteitaktik, Themensetzung und Wahlkämpfe.
Das Ergebnis ist interessant und wertvoll. Aber es fehlen eben jene Fakten, die herausstellen: Wir befinden uns in einer dramatischen Menschheitskrise. Sie verlangt uns Ungeheuerliches ab.
Angesichts dieser dramatischen Situation sollten uns die erschreckenden Einstellungen vieler Menschen – und entsprechende Wahlergebnisse - nicht überraschen. Sie sind folgerichtig.
Das größere Bild hinter dem Wahlgeschehen hat die Klimabewegung eigentlich bereits im Blick. Wir überschreiten seit Jahrzehnten die Grenzen des Planeten - so er denn von Menschen bewohnt sein soll. Daher müssten wir radikal umsteuern. Gefordert ist „Klimagerechtigkeit“.
Doch obgleich dieser Begriff den meisten in der Klimabewegung flüssig über die Lippen geht, scheint häufig unklar, was er am Ende bedeutet. Zunächst: Entweder es gibt rasend schnell weltweit grünes Wachstum. Oder wir müssen unser dominierendes, alles durchdringendes Wirtschaftssystem ersetzen. Beides wäre extrem herausfordernd. Klimagerechtigkeit bedeutet den Abschied vom Überkonsum, d.h. vom Lebensstil in den Industrieländern. Hunderte Millionen Menschen müssen in noch bewohnbare Gebiete umsiedeln. In einem Wort: Die notwendigen Veränderungen bedeuten einen Epochenwechsel, wie ihn die Menschheit noch nie gesehen hat!
Es ist nicht verwunderlich (sondern im Gegenteil sehr verständlich!), dass die wenigsten Menschen in den Industrieländern eine solche Perspektive attraktiv finden – Klimafakten hin oder her. Zur Klimapolitik sagen die meisten Menschen und Politiker:innen daher: Bloß nicht zu schnell!
Und wenn Politiker:innen um Umfrage- und Wahlergebnisse kämpfen, stellen sie dabei auch immer wieder die Fakten des menschengemachten Klimawandels an sich in Frage. Das verunsichert Menschen und macht sie orientierungslos.
Der Rechtspopulismus bietet Orientierung, Entlastung und „Sicherheit“. Zudem schenkt die Megakrise den Faktenleugnern bis auf weiteres den Spitzenplatz ihres Lieblingsthemas: Migration. Die Geflüchteten sind schuld (an allem). „Puh, und ich dachte schon, ich selbst hätte einen Anteil an den Problemen…“, werden viele sich sagen und aufatmend ihr Kreuz bei der noAfD machen.
Angesichts der Megakrise und des anstehenden Epochenwechsels ist das Erstarken des Rechtspopulismus also folgerichtig. Er war zu erwarten. Noch bitterer: Wahlerfolge der noAfD sind ein fast notwendiger Prozess innerhalb dessen, was insgesamt geschieht. Nicht begrüßenswert, nicht schön, aber folgerichtig und – zumindest als Übergangsphänomen – kaum zu vermeiden.
Zwei Dinge, die die Klimabewegung macht, bleiben wichtig. Erstens: Es braucht weiteren Druck. So funktioniert das politische System, der außerparlamentarische Druck bewegt die Parteien.
Zweitens: Die Weiterentwicklung "der reinen Lehre". Was bedeutet Klimagerechtigkeit zu Ende gedacht? Was ist alles verkehrt, wie muss es am Ende aussehen?
Dennoch, beim Ersten ist zu bedenken: Durch Druck alleine verändert sich kein Mensch. Und keine Politik. Sie braucht immer auch einen Ausweg. Dieser fehlt aktuell – denn die übrigen Parteien können schlecht einfach den Grünen rechtgeben.
Beim Zweiten gilt: Das Streben nach dem Optimum schließt viele Menschen aus. Wer Fleisch ist, Auto fährt, in Urlaub fliegt und die CDU favorisiert, wird kaum über Nacht vegan leben, mit Rad und Bahn fahren, zu Hause urlauben und Klimaliste wählen.
Was bisher völlig unterbelichtet, aber zwingend notwendig ist, soll nun skizziert werden. Um gedanklich dorthin zu kommen, fehlen noch zwei Schritte. Erstens: Wir leben in einer Verdrängungsgesellschaft. Sie will nicht. Sie will sich nicht hinterfragen und sich nicht ändern. Sie findet es attraktiver, den anstehenden Epochenwechsel (alternativ die komplette Katastrophe) nicht zur Kenntnis zu nehmen. „Linksgrün“ ist für sie nichts Gutes.
Zweitens: Allein die Gesellschaft als Ganzes kann einen Epochenwechsel einläuten. Das war schon bei den 2019er Erfolgen so: Die Gesellschaft hat sich bewegt. Nicht: Die Klimabewegung hat die Gesellschaft bewegt.
Wir waren 2019 nur der Zwerg, der den Riesen namens Verdrängungsgesellschaft an der richtigen Stelle gekitzelt hat. Das hat gut funktioniert, obwohl unsere Veränderungstheorie dabei gar nicht gestimmt hat. Unsere Idee – und das Versprechen - war: Wir werden immer mehr und dann reagiert die Politik richtig, weil sie einfach muss. Doch die Beharrungskräfte haben nur ein wenig nachgegeben, wie heute klar zu sehen ist. Damit haben sie unsere Dynamik durchbrochen (dazu hatten wir noch Corona).
Nun wird dieser Text unangenehm für alle, die sich linksgrün verstehen. Denn die Hauptaufgabe besteht ausgerechnet darin, weniger linksgrün zu sein. Zumindest nach außen sollten möglichst viele möglichst bürgerlich auftreten und in konservativen Frames sprechen. Die bedrohlichen Fakten sind unser gemeinsamer Feind, nicht die Menschen. Die Verdrängungsgesellschaft braucht Irritation. Wir irritieren besonders dann, wenn wir nicht schon von Vornherein in die linksgrüne Ecke passen.
All jene, die die Fakten leugnen und egoistisch ihr Ding auf Kosten von anderen durchziehen wollen, finden sich jetzt zusammen. Was fehlt, ist der Gegenpol: Das vereinte Zusammenstehen aller, die grundsätzlich wohlmeinend und an Fakten orientiert sind (egal wie sie sich kleiden, wie sie sich ausdrücken, in welcher Partei sie sind und was sie bisher verbrochen haben).
Das wird hart für uns! Wer sieht, wie uns die Konservativen die letzten Jahrzehnte ins Verderben geritten haben, wird heftigen inneren Widerstand spüren. Aber es ist nicht zu ändern, wir brauchen sie alle.
Ein emotionaler Trost kann uns sein, dass wir uns umso härter und klarer auf die Fakten beziehen dürfen. Auch und gerade jenen gegenüber, die sie nicht hören wollen. Dazu gehört jedoch immer Konservativsprech und Liberalsprech pflegen und neue Allianzen bilden. Wir müssen die partielle Überparteilichkeit fürs Überleben erreichen. Es gilt: #UnsereGenerationUnserJob
Um die Verdrängungsgesellschaft möglichst rasch in Bewegung zu bringen, sollte sie zudem an den richtigen Stellen gekitzelt werden. Sie ist der Riese, wir sind Zwerge. Wir werden nie mächtig genug sein, um die ganze Verdrängungsgesellschaft auf den richtigen Weg zu schupsen.
Das würde auch dann gelten, wenn sie komplett auf dem falschen Pfad wäre – und wir vollständig Recht hätten. Wer die Klimafakten anerkennt, sollte auch die realexistierende Trägheit von Menschen und Menschheit sowie des politischen und wirtschaftlichen Systems anerkennen. Dazu gehört, die Möglichkeit des Kollapses bzw. des Scheiterns der Menschheit zu akzeptieren.
Doch selbst wenn wir Scheitern, können wir dies in Würde und Selbstachtung tun (Thomas Metzinger: Bewusstseinskultur). Gehen wir die ersten Schritte auf jene zu, die bisher so sehr falsch lagen; die wir aber unbedingt brauchen für den anstehenden Epochenwechsel. Das – und die Klimagerechtigkeit – sollte unser Kompass sein, in aller Unsicherheit, wie der konkrete Weg sich noch ausgestalten wird.
Der anstehende Kampf richtet sich auf das Herstellen der Einheit aller, die die Fakten akzeptieren. Dazu gehört die unangenehme Wahrheit: Wir müssen zugleich gegen unsere inneren Widerstände kämpfen. Wir müssen jene einbeziehen, die wir stets auf der anderen Seite verortet hatten. Dann können sich auch all jene wieder anschließen, die derzeit irritiert nach rechts driften.