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Warum es in der Klimakrise nicht um Argumente geht

Christoph Burger • 18. Juni 2023

Kürzlich hat Luisa Neubauer auf Folgendes hingewiesen: Die entscheidende Frage in der Klimakrise ist nicht: Wer hat das bessere Argument? Die Frage ist: Wer hat das mächtigere Argument? Noch zutreffender wäre festzustellen: Es geht überhaupt nicht um Argumente!

Vom guten zum mächtigen Argument

Wissen alleine ändert nichts. Die Fossilindustrie manipuliert, sie investiert Milliarden in Lobbyarbeit, pseudowissenschaftliche Studien und Marketing, um ihre Geschäftsinteressen zu schützen.

Wer nichts weiß, kann nichts ändern. Also brauchen wir die Wissenschaft. Forschung aber, die Geschäftsinteressen bedroht, wird mittels Macht bekämpft. Soweit auch Luisa Neubauer hier.

Eine Frage des Menschenbildes

Aber lassen sich Menschen komplett manipulieren? Ist ein Bundeskanzler ausschließlich Machtmensch? Ich bin völlig einverstanden, ihn zu Erkenntniszwecken probehalber darauf zu reduzieren, dass er durch und durch vom Wunsch durchdrungen ist, die nächste Wahl zu gewinnen, nichts sonst. Vollständig ist diese „Wahrheit“ trotzdem nicht.

 

Wie groß die Bedeutung des fehlenden Rests ist, wird mit Blick auf die Klimabewegung deutlich. Wir sind stets frei darin, uns für „abweichendes Verhalten“ zu entscheiden. Dies wird augenfällig, mit Blick auf die Schüler:innen, die freitags nicht zur Schule gingen. Sie praktizierten dieses freie, abweichende Verhalten. Menschen, die mit der Letzten Generation Straßen blockieren, Schmerzgriffe erdulden, Gefängnisstrafen riskieren, praktizieren es.

 

Auch ein Mensch, der einen SUV fährt, ein Flugzeug besteigt oder seine politische Meinung faktenfrei nach populistischen Sprüchen bildet, könnte anders. Sein Beitrag gegen die Klimakrise würde ihm sogar vergleichsweise komfortabel gelingen.

 

Wer also beim Bild des mächtigeren Arguments stehen bleibt, erfasst die Wirklichkeit ausgerechnet in dem Punkt unzureichend, der der Schlüssel dafür ist, die Klimakrise zu verstehen. Sie ist menschengemacht und das - vorläufig - aus dem Grund, dass wir es so wollen.

Regeln der Verdrängungsgesellschaft

Der Begriff der „Verdrängungsgesellschaft“ hilft weiter, um zu begreifen, was uns als Menschheit in der Klimakrise gerade passiert. Komprimiert könnte man es so fassen:


  • Wir wollen verdrängen
  • Deshalb suchen wir Anlässe (Argumente, Ausreden ...), die dies ermöglichen
  • Deshalb beugt sich die vom Status Quo profitierende Mehrheit der Macht der Fossilkonzerne
  • Gegen diese Macht lässt sich nichts erzwingen
  • Mit dieser Macht haben wir gewonnen


Argumente sind in der Verdrängungsgesellschaft Mittel zum Zweck des Verdrängens. Sie dienen dem Erhalt des Weiterso-Märchens. Weil wir daran glauben wollen. Weil wir es uns weiter bequem machen wollen. Argumente benötigen wir vor allem aus einem Grund: Ohne Argumente würden wir uns blöd, unmoralisch und egoistisch vorkommen und einen Konflikt mit unserem Selbstbild und unseren Werten riskieren.

Epochenwechsel und Gesellschaftsdesign

Was trostlos klingt, hat eine wunderbare, positive Seite. Wir brauchen nicht besonders viel Macht. Die Kraft steckt schon in der Gesellschaft. Momentan verdrängt sie - aber das kann sich ändern.

 

Auch als 2019 FFF richtig viel bewegte, kam die Kraft dafür aus der Gesellschaft. Sie wurde von FFF ordentlich getriggert. Aber ohne die Fakten, die von S4F und engagierten Journalist:innen verbreitet wurden, ohne unser subtil-schlechtes Gewissen, ohne unsere humanistischen Werte, hätten wir uns nicht bewegt.

 

Es geht also - ja, das auch - um Macht und um Präsenz auf der Straße. Aber das richtige Triggern hat weniger mit Macht zu tun. Dafür braucht es eher die richtigen Worte und Taten, die eine faktenbasierte Geschichte begründet, die wir dem Weiterso-Märchen entgegenstellen (z.B. via #UnsereGenerationUnserJob - Überparteilichkeit). Es geht um ein Konzentrat, das interessierte Kreise nicht so einfach in eine neue Rolle im Verdrängungstheater verwandeln können.

 

Menschen beugen sich nicht automatisch der Macht. Sie sind nicht identisch mit ihren Routinen, ihrem Komfort, ihrem Überkonsum. Sie können sich anders entscheiden, v.a. wenn man sie dank Hintergrund-Wissens über die Verdrängungsgesellschaft richtig triggert und ihnen zeigt, wo sie lang gehen können und wieso dies erfolgreich sein wird.

 

Wer macht mit? Gesellschaftdesigner:innen gesucht! Bitte melden!

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