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Von der Doppel- zur Trippelmoral

Christoph Burger • Feb. 01, 2023
Zwei Klimakleber fliegen nach Bali, behauptet die Bildzeitung, alle schreiben es ab, statt sich fürs Klimakleben vor Gericht zu verantworten. „Skandal!“ - rufen diejenigen, die unverdächtig sind, etwas fürs Klima zu tun. Ausgerechnet. Eine lehrreiche Debatte.

Hunderttausende Flüge zu viel

Was passiert ständig, ohne dass es jemanden aufregt: Superreiche fliegen mit Privatjets. Hunderttausende relativ Reiche ("wir") fliegen in die Ferne. Und jeder einzelne dieser Flüge ist ein Problem. Aber das alles findet kaum Beachtung.


Was aber nun erhebliche Wellen schlägt: Zwei Menschen blockierten eine Straße, um eine angemessene Klimapolitik einzufordern. Für die Blockade sollten sie sich vor Gericht verantworten. Stattdessen weilten sie  - in der spezifischen Bild-Version der Welt - auf Bali.


Ein gefundenes Fressen für alle von der CDU, CSU, FDP. Sie stürzen sich auf den Fall, als gäbe es kein Morgen mehr. Warum? Weil sie hier eine neue Puppe im Verdrängungstheater auf die Bühne bringen können. Sowas wie das Tempolimit ist nicht nur unsexy für sie. So ein angeblicher Bali-Flug von Klimaengagierten lenkt auch in schönster Weise davon ab, was sie als einfachste Klimamaßnahmen blockieren.

Trippelmoral von CDU, CSU, FDP

Bemerkenswert ist, dass die Erregung nicht nur taktischer Natur ist. Viele Halbrechte dürften ehrlich entrüstet sein. Warum? Natürlich, weil sie blind der Bild"zeitung" glauben, was immer ein Fehler ist. Aber auch, weil sie sich auf dem sicheren Boden des moralischen Handelns wähnen.


Sie glauben wirklich, dass es hier um Doppelmoral geht. Es lohnt sich, genauer hinzusehen. Doppelmoral entsteht, wenn man anderen etwas predigt, das man selbst nicht tut. Ihr Vorwurf an die Klimaengagierten gründet darauf, dass sie selbst allen alles erlauben wollen – trotz Klimakrise. Sie ignorieren dabei die physikalischen Realitäten, mit denen wir alle zu leben haben. Dabei wissen sie insgeheim sehr genau, dass sie damit auf Seiten der Klimaschmutzlobby stehen. Ausgerechnet auf diesem Boden ruht ihre gefühlte moralische Überlegenheit.


Offiziell behaupten selbst die Union und die FDP, sich für Klimaschutz einzusetzen. In diesem Lichte wirkt die Entrüstung dieser Scheinheiligen so schräg, dass man schon den Begriff Trippelmoral einführen muss, um das noch in Worte fassen zu können.

Alle dürfen nach Bali – nur Klimaschützer:innen nicht?

Alle, die es sich leisten können, dürfen jede beliebige Strecke mit dem Privatjet zurücklegen und alle, die sich eine Fernreise leisten können, dürfen sie sich leisten (freie Gesellschaft und so) - nur Klimaschützer:innen nicht? Nein, in der eskalierenden Klimakrise sind alle diese Reisen ein Problem. Worauf es dabei auf keinen Fall ankommt: wer reist.


Was bei all dem auf keinen Fall weiterhilft, ist, die Realität der Klimakrise zu ignorieren. Wer also meint, in dieser Krise dürfe er andere schelten, nur weil er die physikalische Situation ignoriert, führt die Debatte direkt nach Absurdistan.


Zugleich sind wir mitten in unserer Verdrängungsgesellschaft angekommen.

Die Klimakrise in uns

ALLE Menschen sollten sich unbedingt für Klimaschutzpolitik stark machen. Wenn sie dies tun, machen sie schon mal eine Sache richtig.


Diejenigen aber, die sich sowohl jeden unnötigen Überkonsum genehmigen, als auch an der Verhinderung von Klimaschutz beteiligen, sollten den Mund halten. Und beides ändern. Und das hängt nicht an der Moral. Sondern an der Physik.


Für die Gesellschaft insgesamt gilt, dass wir uns exakt mit diesen Aspekten der Debatte auseinandersetzen müssen. Eine Kernerkenntnis dabei sollte lauten: Moral ist schön. Aber der Physik ist sie egal. Und: die Bildzeitung ist keine seriöse Quelle.

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