Ich blockiere Straßen, habe auch schon Pipelines abgedreht. Hauptsächlich mache ich mir aber Gedanken, wie wir die kollektive Verleugnung überwinden. Die Verleugnung der existentiellen Bedrohung, in der wir stehen. Dazu schule ich Menschen in Gewaltlosigkeit. Wenn wir nicht friedlich vorgehen, sinken die Chancen gegen null, dass da etwas Besseres entsteht.
Ja, das passt. Das ist genau der Ansatz, den wir verfolgen. Das Unterbrechen des Alltags ist die Konfrontation mit der Verleugnung. Und gleichzeitig wollen wir eine akzeptierende Haltung einnehmen. Wir sagen ganz explizit nicht zu den Leuten auf der Straße, „du bist schuld“. Sondern adressieren die Regierung und sagen: „wir sitzen hier alle gemeinsam drin“.
Das ist ja was sehr Therapeutisches. Wir handeln als Gesellschaft so, dass wir uns selbst vernichten. Das ist die Ausgangslage. Wenn wir einen Menschen haben, der drauf und dran ist, sich selbst zu vernichten, durch Selbstverletzung zum Beispiel, dann würden wir auch eingreifen. Auch wenn der das gar nicht will in dem Moment. Dann würden wir mit einer akzeptierenden Haltung handeln und versuchen, der Person zu helfen. In dem Glauben daran, dass wir leben wollen.
Ja, das würde ich auch so sehen. Das muss Hand in Hand gehen.
Da würde ich zustimmen. Wir versuchen bereits, mit allen in den Dialog zu gehen und die Leute mitzunehmen.
Ja, eine Blockade wirkt in diesem Moment richtig stark. Für mich persönlich sind die Straßenblockaden auch wirklich schwierig, weil ich mit den Leuten mitfühle. Ich halte mich dann an den Leitspruch des Therapeuten Yalom: „das Eisen schmieden, solange es kalt ist“. Das heißt hier: das Reden kommt erst hinterher, wenn durch die Konfrontation der Diskussionsraum eröffnet wurde.
Ja, ich hatte vor allem an die gedacht, die das am schlimmsten finden. Aber viele sind gar nicht so aufgebracht. Dann kann man schon auch vor Ort reden. In München ging das schon in der Richtung. Da waren Menschen bei der Blockade, da wurde schon diskutiert, warum das jetzt hier stattfindet. Es könnte Redebeiträge geben, man kann Miteinander ins Gespräch kommen. Das Ganze wird zu einem gesellschaftlichen Ereignis. Das kann ich mir sehr gut vorstellen.
Ja, da stimme ich zu.
Ja, auf jeden Fall. Wir wollen niemanden erpressen oder zu etwas zwingen. Das können wir auch gar nicht, weil wir zu wenige sind und weil wir keine Gewalt ausüben. Was stattdessen passiert: wir geben uns hin, wir können abführt und verhaftet werden. Wir sagen einfach nur, was wir machen und machen das. Und dann ist die Gesellschaft vollkommen frei darin, sich zu entscheiden, was sie mit dieser Einladung machen möchte.
Lars Werner ist studierter Psychologe und in der Ausbildung zum Psychotherapeuten. Seit der Gründung der Protestgruppe „Letzte Generation“ ist er dort Aktivist und Mitglied des erweiterten Strategieteams. In München war er wegen zwei Straßenblockaden 23 Tage in Gewahrsam.
Beitrags(haupt)foto: Stefan Müller
Eine Beschreibung der Gesellschaftstherapie aus Sicht des Interviewers findet sich hier.